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Von Favoriten nach Meidling – ein Wiener Kulturschock der charmanten Sorte

  • Autorenbild: Jürgen von Netzlos
    Jürgen von Netzlos
  • 19. Okt.
  • 3 Min. Lesezeit

Ich bin umgezogen. Von Favoriten nach Meidling. Klingt auf den ersten Blick nach einem Katzensprung – in Wahrheit ist es eine kleine Weltreise. Man braucht keinen Reisepass, aber ein bisschen kulturelle Anpassung ist schon notwendig.


Favoriten – das vibrierende Chaos


Wer in Favoriten wohnt, der weiß: Hier pulsiert das Leben. Der Bezirk ist laut, lebendig und manchmal ein bisschen verrückt – aber genau das macht ihn aus. Es gibt dort alles: Märkte, Menschen aus aller Welt, hupende Autos, duftende Imbisse, spontane Diskussionen auf offener Straße und eine Energie, die man anderswo in Wien kaum findet.


In Favoriten riecht es Tag und Nacht nach Kebab, gegrilltem Fleisch und manchmal auch nach Abenteuer. Dort wird man nicht einfach begrüßt – dort wird man angeschrien, aber herzlich. Ein „Bruda, was los?“ ist keine Beleidigung, sondern ein soziales Bindemittel.


Favoriten ist wie Urlaub im Süden, nur ohne Meer, Palmen oder Pool. Dafür mit mehr Verkehr, hupenden Autos und einer Geräuschkulisse, die man sich nicht schönhören kann, aber irgendwann vermisst, wenn sie fehlt.


Natürlich ist nicht ganz Favoriten so. Es gibt dort auch wunderschöne, ruhige Ecken – etwa beim Liesingbach, rund um den Wienerbergteich oder im Laaer Wald, wo man fast vergisst, dass man sich noch in der Stadt befindet. Aber dort, wo ich gewohnt habe – in einer kleinen Seitengasse der Quellenstraße – war eben immer etwas los. Da war Leben, Bewegung, manchmal auch ein bisschen zu viel davon.


Favoriten ist laut, wild und ungeduldig – ein Bezirk, der nie schläft, aber ständig telefoniert. Wenn man hier überlebt, kann man überall wohnen.


Von Favoriten nach Meidling

Meidling – der gemütliche Grant


Dann kam der Umzug nach Meidling. Ich dachte, ich bleibe in Wien – aber Meidling ist ein eigenes Universum. Hier geht das Leben einen Gang langsamer, aber dafür mit Stil. Statt hupender Autos hört man das rhythmische Klackern der Badner Bahn, und an der Ecke grüßt der Trafikant mit einem kurzen Nicken, das gleichzeitig „Servas“ und „Bleib g’sund“ bedeutet.


Hier riecht es nicht nach Kebab, sondern nach Gulasch, Beuschel und frisch gebrühtem Filterkaffee. Statt Falafelständen gibt’s Gasthäuser mit Schnitzel, das über den Tellerrand hängt, und Kellner, die den Schmäh im Blut haben. Meidling hat etwas Nostalgisches – als wäre die Zeit hier kurz nach dem letzten Kaiserschmarrn stehen geblieben.


Die Leute sind ein eigener Schlag: manchmal grantig, aber nie unfreundlich. Ein echter Meidlinger schimpft dich an – und meint es gut. Wenn du im Weg stehst, ruft er: „Geh, Oida, pass auf!“ – und fünf Minuten später hält er dir die Tür auf. Man diskutiert hier nicht lautstark wie in Favoriten; man kommentiert leise, aber pointiert. Und wenn es in Meidling einmal laut wird, dann höchstens an der Billa-Kassa, wenn die Oma entdeckt, dass die Butter trotz „-25 %“-Pickerl noch immer 3 Euro kostet – und dann solidarisiert sich die ganze Schlange.


Von Favoriten nach Meidling

In Meidling kennt man seine Nachbarn. Man grüßt sich, man hilft sich, und wenn jemand umzieht, steht garantiert einer mit einer Sackrodel vor der Tür: „Na, brauchst a Hand?“ Hier gibt’s noch echtes Zusammenleben, keine Anonymität.


Meidling ist bodenständig, gemütlich, ein bissl altmodisch – aber auf die beste Art. Es ist der Bezirk, der dich mit einem „Na guat, passt scho“ willkommen heißt, und genau das ist das Schönste daran.


Darnautien in Meidling


Und dann ist da ein Haus mit zwei Stiegen und einem wunderschönen grünen Innenhof in einer Gasse: die Gasse nennt sich Darnautgasse. Ich hab diesem Anwesen den Namen „Darnautien“ gegeben. Warum? Weil es sich hier anfühlt wie ein eigenes kleines Land. Ruhig, freundlich, charmant. Die Menschen grüßen sich wirklich, die Nachbarn sagen „Grüß Gott“ ohne Ironie, und der Postler hat Zeit für einen kurzen Schmäh.


In Favoriten war der Postler schneller als Amazon Prime – in Darnautien trinkt er vielleicht noch einen Kaffee, bevor er weiterzieht.


Von der Großstadthitze zur Gulasch-Gemütlichkeit


Ich fühle mich hier wohl. Vielleicht, weil Meidling ein bisschen wie eine ältere Tante ist – manchmal grantig, aber immer herzlich. Favoriten war die wilde Jugend – laut, chaotisch, energiegeladen. Meidling ist das gemütliche Erwachsensein – mit Mehlspeis, Sonntagsbraten und Nachbarn, die noch wissen, wer man ist.


Und jedes Mal, wenn ich auf meinem Balkon mit dem wunderschönen grünen Innenhof sitze, den Kaffee in der Hand und das Vogelgezwitscher höre, denke ich mir: „Na schau, Darnautien – so fühlt sich Frieden mitten in Wien an.“


Nur manchmal, wenn’s ganz still ist, riech ich in Gedanken noch ein bisserl Kebab –und muss lächeln.

1 Kommentar


Gerald aus Favoriten
vor 6 Tagen

Richtig gut geschrieben!

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